Die Gerechtigkeit ist wie das Licht: Man weiß nicht, was es ist, aber man merkt, wenn es fehlt.

Organisationale Gerechtigkeit lässt sich in vier Dimensionen gliedern: Distributive, prozedurale, informationale und interpersonale Gerechtigkeit. Studien (z.B. Cohen-Charash & Spector, 2001; Colquitt, Conlon, Wesson, Porter & Ng, 2001) belegen, dass die Wahrnehmung von organisationaler Gerechtigkeit im positiven Zusammenhang mit Arbeitszufriedenheit, Verbundenheit zum Unternehmen und Leistung steht. Weiterhin reduziert sie Kündigungsgedanken und Diebstahl am Arbeitsplatz. Was genau diese Dimensionen beinhalten und wie sie Anwendung in der Praxis finden, lesen Sie hier.

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Gerechtigkeit fördert u.a. Vertrauen und Vertrauen ist schließlich die Grundlage jeder Beziehung sei es privat oder beruflich. Aber was ist eigentlich Gerechtigkeit und wieso lässt es sich so schwer definieren? Gerechtigkeit ist nur schwer zu greifen, wie die Lichtmetapher anfangs verdeutlicht hat. Trotzdem sei hier eine Definition, unter vielen, gegeben, um auf einem gemeinsamen Grundverständnis aufzubauen:

Gerechtigkeit regelt die Beziehungen von Menschen zu anderen Menschen, sie betrifft also Interaktionen, und sie enthält immer ein Moment von Gleichheit. Zentrale Frage ist, wie das „ius suum“, „sein Recht“, bestimmt wird.

So steht es zumindest im Gabler Wirtschaftslexikon. Um Gerechtigkeit besser zu fassen, Vertrauen aufzubauen und allgemein von den Benefits organisationaler Gerechtigkeit zu profitieren, werden im folgenden die vier Dimensionen der organisationalen Gerechtigkeit veranschaulicht. Anschließend werden Implikationen für die Praxis aufgelistet. Eine praktische Checkliste am Ende des Artikels beinhaltet die wichtigsten Stichpunkte zu den Dimensionen und macht sie so im Alltag leicht zugänglich und anwendbar.

1. Distributive Gerechtigkeit

Diese Form der Gerechtigkeit zeichnet sich vor allem durch eine Ergebnisorientierung aus und basiert auf dem Prinzip einer fairen Verteilung von Ressourcen. Die einfachste Form, das Gleichheitsprinzip, lässt sich häufig bei Kindern beobachten, die Süßigkeiten gleichermaßen untereinander aufteilen. Jeder bekommt die gleiche Anzahl von Gummibärchen – das geschieht unabhängig von anderen Faktoren, wie z.B. Alter, Geschlecht, Größe oder Gewicht. Diese Art der Verteilung basiert auf dem Leistungsprinzip. Ein geeignetes Beispiel bietet der Arbeitskontext. Die Verteilung der vorhandenen Ressourcen, anstelle von Gummibärchen stehen hier z.B. die Vergütung oder andere betriebliche Leistungen, unterliegt dabei bestimmten Regeln und berechnet sich nach dem Input des Arbeitnehmers/ der Arbeitnehmerin. Bei dem Input handelt es sich z.B. um die eigene Arbeitsleistung (Wochenstunden, Arbeitserfahrung, Verantwortungsbereiche, etc.). Distributive Gerechtigkeit wird dann empfunden, wenn z.B. das Gehalt dem entspricht, was relevante Referenzen, z.B. KollegInnen mit vergleichbarer Leistung, ebenfalls erhalten. Die dritte Form basiert auf dem Bedarfsprinzip. Ein Beispiel für eine nach Bedürfnis verteilter Output, ist das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG).

2. Prozedurale Gerechtigkeit

Im Gegensatz zur distributiven Gerechtigkeit und ihrer Ergebnisorientierung steht hier die Prozessorientierung im Vordergrund. Gerechtigkeitserleben wird also nicht durch das „Was?“, sondern das „Wie?“ erzeugt. Der Prozess der Entscheidung steht im Mittelpunkt. Um prozedurale Gerechtigkeit z.B. in Meetings und anderen Abstimmungen zu erzeugen, sollten immer die drei Punkte: Partizipation, Neutralität und Transparenz der Entscheidung berücksichtigt werden. Partizipation meint das Einbeziehen aller Parteien. Es sollten möglichst alle Standpunkte gleichermaßen (also z.B. gleicher Zeitrahmen) angehört werden, um später bei einer Entscheidung berücksichtigt zu werden. Somit wird allen TeilnehmerInnen, z.B. dem eigenen Team, eine Stimme („voice“) verliehen. Neutralität meint die unparteiische Haltung der entscheidenden Person. Nur wenn eine Entscheidung als neutral empfunden wird, kann prozedurale Gerechtigkeit erlebt werden. Nicht zuletzt sollten klar kommunizierte Entscheidungskriterien transparent gemacht werden und so eine Entscheidung nachvollziehbar herbeiführen.

3. Informationale Gerechtigkeit

Die Verfügbarkeit und das Teilen von Informationen gehört zu den wichtigsten Zutaten im Vertrauensaufbau. Das vor allem in Deutschland beliebte Zitat

„Wissen ist Macht.“

geht ursprünglich auf den englischen Philosophen Francis Bacon zurück und unterstreicht die Bedeutung von Informationen für unser Handeln. Denn wer vertraut, wenn er/sie das Gefühl hat, dass sich der Gegenüber nur bemächtigen möchte? Hier ein Beispiel, das den meisten bekannt vorkommen dürfte:

Das Telefon klingelt. Die Telefonnummer ist unterdrückt. Sie nehmen ab.

Hallo?

Guten Tag, spreche ich mit Frau/ Herrn XY?

Ja?

Können Sie mir bitte ihr Geburtsdatum nennen?

Ja, na gut: xx.xx.xxxx Darf ich bitte fragen, worum es geht?

Ich brauche nur noch ihren Wohnsitz und ihre Kreditkartennummer zur Verifizierung.

Während Sie dem Anrufer/ der Anruferin noch den (Informations-)Vorschuss bzgl. der unterdrückten Nummer und eventuell auch des nicht genannten Namens gönnen, kommen wahrscheinlich spätestens bei der Frage nach dem Geburtsdatum erste Zweifel und Unsicherheit auf. Bei der Frage nach weiteren persönlichen Daten haben Sie sich innerlich wahrscheinlich schon zu einer „fight“- (in den Hörer brüllen; ziemlich empört die Identifikation des Anrufers/ der Anruferin fordern) oder aber zu einer „flight“-Reaktion (den Hörer auflegen) entschieden. Wie konnte ihr Gegenüber Sie so schnell in diese Stresssituation bringen? Ganz klar: Die Situation hat sofort Assoziationen basierend auf eigenen Erfahrungen, solchen von FreundInnen oder der letzten Sendung von Punkt 12 bei Ihnen hervorgerufen – zu Recht. Hätte der Anrufer/ die Anruferin jedoch die Bedeutung des Vertrauensaufbaus zum Erlangen von Informationen verstanden und Ihnen Informationen zur Person und zum Anliegen präsentiert, hätten ihre Alarmglocken vielleicht nicht ganz so ohrenbetäubend geläutet. Hätten Sie also gewusst, dass es sich am anderen Ende der Leitung um ihre Bank handelt, die eine Sicherheitsüberprüfung ihrer Transaktionen durchführt, wären Sie vermutlich kooperativer vorgegangen, oder?

Durch die wahrheitsgemäße, transparente und nachvollziehbare Kommunikation relevanter Informationen, die Aufschluss über Vorgehensweise, Entscheidungsprozesse und Begründungen für Entscheidungsergebnisse liefern, lässt sich informationale Gerechtigkeit herstellen.

4. Interpersonale Gerechtigkeit

Die vierte Dimension der organisationalen Gerechtigkeit bezieht sich auf die wahrgenommene soziale Interaktion bei der Entscheidungsfindung. Also je respektvoller und empathischer der Umgang miteinander, desto höher das Gerechtigkeitsempfinden. Sorgen sollten thematisiert und Befürchtungen sollten durch die Vermittlung von Verständnis und Unterstützung adressiert werden.

Zusammengefasst umfassen die ersten beiden Dimensionen, distributive und prozedurale Gerechtigkeit, die formalen Regeln und Prozesse wonach eine Entscheidung getroffen wird. Erstere wägt dabei ab, ob Aufwand und Nutzen in einem angemessenen Verhältnis stehen, während Zweitere den Entscheidungsprozess und die Einflussnahme darauf fokussiert. Die informative und interpersonale Gerechtigkeit bestimmen schließlich die Art und Weise, wie diese Regeln und Prozesse implementiert werden. Sind alle Informationen vorhanden? Und wurde die Interaktion als respektvoll und empathisch gewertet?

6 Tipps für die Praxis

  1. Bewertungsregeln klar kommunizieren: Welche Ziele werden angestrebt? Wie wird Leistung gemessen? Welche Entlohnung und mögliche Boni gibt es? Gerade in Bewerbungsgesprächen und vor Vertragsunterzeichnungen lohnt es sich die „Bewertungskriterien“ für die Zusammenarbeit abzustimmen und niederzuschreiben.
  2. Jedem eine Stimme verleihen: Achten Sie darauf, dass im Team und in Meetings nicht nur die Extrovertierten und Lauten gehört werden. Auch wenn Sie der Auffassung sind, dass Sie die Meinung ihres Gegenübers kennen, fragen Sie nach und verleihen Sie allen beteiligten Parteien eine Stimme.
  3. Information ist Macht: Gerade im Vertrieb und in der Kaltakquise liegt die Expertise, und damit die Informationen, bei dem Verkäufer/ der Verkäuferin. Liefern Sie ihrer Kundschaft Informationen darüber, warum Sie sich gern austauschen würden. Es kann auch helfen, angemessene persönliche Informationen Preis zu geben, um das Vertrauen des Interaktionspartners zu gewinnen.
  4. Durch transparente Kommunikation können jeweilige Erwartungen und Ziele vorab offen dargelegt und spätere Missverständnisse und Frustration vermieden werden. In Verhandlungen und Meetings lohnt es sich deshalb mit „offenen Karten“ zu spielen.
  5. Rahmenbedingungen, z.B. zeitlicher und finanzieller Natur, sollten ebenfalls von vornherein aus- und abgesprochen werden.
  6. Empathie und ein respektvoller Umgang miteinander ist immer die Grundvoraussetzung für eine gesunde Beziehung. Da spielt es keine Rolle, ob Sie mit PraktikantInnen, KundInnen oder Vorgesetzten sprechen.

Die Checkliste für den Alltag

  • Distributive Gerechtigkeit

  • Gleichheitsprinzip

  • Leistungsprinzip

  • Bedarfsprinzip

Die Art der Verteilung steht im Mittelpunkt.

  • Prozedurale Gerechtigkeit

  • Partizipation

  • Neutralität

  • Transparenz der Entscheidung

Der Prozess der Entscheidung steht im Mittelpunkt.

  • Informationale Gerechtigkeit

  • wahrheitsgemäße

  • transparente

  • nachvollziehbare Kommunikation

Die Informationen für einen Entscheidungsprozess oder für die Begründung eines Entscheidungsergebnisses sind ausschlaggebend.

  • Interpersonale Gerechtigkeit

  • Respekt

  • Empathie

Die Wahrnehmung der sozialen Interaktion bei der Entscheidungsfindung wird fokussiert.